14. September 2014

Tatort: Wüstensohn (München)


In Deutschland befand sich die Zuschauerquote des Luzerner Tatorts erwartungsgemäß auf einem Rekordtief, aber trotzdem überwiegt beim Barometer die Freude. Die Schweiz ist letzten Sonntag mehr als nur im Tatortolymp angekommen. Natürlich gäbe es wie immer Dinge, die man bemängeln könnte, aber ich kenne mindestens drei Teams in Deutschland, welche, seit ich Tatort schaue, noch keine Folge auf nur annähernd diesem Niveau geliefert haben. Luzern darf wirklich stolz sein, der Zuschauer darf zufrieden sein, die ARD jedoch sollte sich was schämen. Pfui. Das war wirklich das Allerallerletzte, was ihr je geboten habt!
Das gewaltige Gewitter hat sich nun also verzogen, der Wirbelsturm zum Start der neuen Saison ist abgeflaut, und wir können uns jetzt wieder in Ruhe auf den Tatortinhalt konzentrieren. Und als wäre meine Laune nicht schon aufbruch-euphorisch genug, dürfen wir uns auch noch auf München freuen. Eines meiner Lieblingskinder.

„Der Sohn des Emirs von Kumar brettert mit 180 Sachen und mit einer Leiche im Auto durch die Stadt. Aufgrund seines Diplomatenstatus jedoch völlig unbehelligt.“

Klingt nicht gerade nach authentischer Story und es wird doch ziemlich schwierig werden, so ein Prinz aus Zamunda-Schrott glaubwürdig darzustellen. Bei uns normalen Menschen wirken Geschichten aus dem steinreichen Milieu doch immer irgendwie unglaubwürdig, völlig aufgesetzt und übertrieben, weil schlicht nicht vorstellbar. Aber das heisst noch lange nicht, dass es vielleicht nicht wirklich genau so ist. Oder noch viel gestörter.
Gerade als Schweizer sollte man das doch bestens kennen. Im Wallis schafft man es in guten Positionen allerschlimmste Verbrechen einfach zu vertuschen und auf einen Hund abzuschieben, der Stadt Bern entgehen jedes Jahr tausende an Diplomaten-Fuzzi-Bußgeldern, und gerade aktuell ist doch die Story von rasenden Arabern in Interlaken, bei welchen laut Tourismus Direktor bewusst zwei Augen zugedrückt werden sollen, weil man sie bzw. natürlich ihr gutes Geld unter keinen Umständen verlieren möchte. Tja, so läuft das hier, in der feinen Schweiz. Und warum sollte das in München anders sein? Zudem habe ich in München mal eine ziemlich absurde Geschichte erlebt. Nicht exakt zu diesem Thema, aber lest doch selbst:

Eines Abends, spät nach einem Training, hab ich an einer verlassenen Busstation am Leonrodplatz einen Rucksack gefunden. Keine Menschenseele weit und breit, selbst der WienerWald auf der andern Seite war längst geschlossen. Die Strassen waren leer und die Weite schien stockdunkel. Nur die blass wirkenden Strassenlampen gaben etwas Licht, auf der ganzen Kreuzung blinkten die orangen Ampeln in einem leicht angespannten Takt und der schmale Lichtkegel der Busstation zielte exakt auf diesen Rucksack. Wirklich ein gespenstischer Moment, aber ganz ehrlich, genau so geschehen. Ich also ziemlich nervös, mache den Rucksack auf und finde eine Adresskarte einer Klinik, einen Monatsvertrag eines äusserst renommierten Fitnesscenters, welcher jedoch schon ein paar Wochen abgelaufen war, ein Zettel mit arabischen Notizen und 950 Euro in grossen Scheinen (9x 100Euro und 1x 50Euro). Ich also noch etwas nervöser. 950 Euro waren zu dieser Zeit und bei dem damaligen Kurs von 1.68, doch eine Menge Geld für mich. Sehr suspekt, dieses unreale Szenario. Fühlte mich doch irgendwie beobachtet. Ich also noch vor Ort bei dieser Klinik angerufen und versucht die Sachlage zu klären. Nicht ganz einfach, zu dieser Uhrzeit. Am andern Ende der Leitung bat mich ein äusserst gestresst wirkender Mann, doch bitte am nächsten Tag nochmals anzurufen, sie hätten grad einen Notfall. Einen Notfall? Was zum Teufel meint der mit einem Notfall? Bin am Ende ich der Notfall? Ich also Rucksack zu, ab in den nächsten Bus, der um die Ecke kam und weg von diesem unsicheren Tatort. Je länger die Fahrt dauerte, umso mulmiger wurde mir. Die wenigen Leute, die verteilt im Bus sassen, sahen alle irgendwie aus wie potentielle Ex-Besitzer dieses ominösen Gepäckstücks. Ich also plötzlich wirklich Panik, zwei Stationen zu früh aus dem Gefährt gesprungen, geschaut, dass mich keiner verfolgt und mit (zu einem späteren Zeitpunkt kaum nachvollziehbaren) Zickzack-Linien nach Hause gerannt. Falls mir jemand tatsächlich gefolgt wäre, ich hätte ihn mit grosser Sicherheit abgehängt. Zuhause angekommen meine Stimmung auf völlig paranoide, da die Klinik ja meine Handynummer gesehen haben könnte. Die würden mich nun jagen, und sicher niemals glauben, dass ich das Geld wirklich hätte zurückgeben wollen. Wollte ich aber. Oder wollte ich nicht, oder wollte ich doch? Oder nicht, aber wusste, dass ich es sollte? Eine zu heisse und zu unruhige Nacht. Ich also, ehrlich oder paranoide wie ich bin, am nächsten Morgen wieder ans Telefon. Dieses Mal in einer Telefonkabine, an der Münchener Freiheit. Eine, welche sich nicht im Sichtbereich der MVV Überwachungskameras befunden hat. Zumindest gemäss meinen präzisen, jedoch sehr unauffälligen Nachforschungen. Und wieder meldete sich dieser Mann vom Vorabend. Dieses Mal klang er äusserst ruhig und mit einer angenehmen Stimme. Sehr geschliffenes und überartikuliertes Deutsch, jedoch mit leicht arabischem Akzent. Ich also mit Puls auf 180, erzählte ihm nochmals die Geschichte. Dass ich eine Menge Geld gefunden hätte und auf dem Fitnessabo-Vertrag wohl der Name des Besitzers stehen würde. Er erklärte mir freundlich, dass sie eine Privatklinik seien, in welcher sich Saudi-Araber behandelten lassen würden, die jedoch jeweils nur für kurze Zeit in München weilen. Er dürfe mir natürlich keine genauere Auskunft über diesen Herrn geben, aber er könne mir sagen, dass er schon eine Weile nicht mehr in München sei. Er sei mittlerweile gesund wieder zu Hause. Gesund wieder zu Hause? Oder halbtot in einem scheiss Kellerverliess? So wie ich auch bald? Ob er wissen dürfe, was ich unter „einer Menge Geld“ verstehe, fragte er ganz nüchtern. Ich also aufgeregt: „950 Euro!“ Er weiterhin sehr ruhig und mit tiefer Stimme: „Neunhunderfünfzig Euro?“ Dann Stille. Dann leises Lachen. Dann wieder Stille. Dann nochmals ein leichtes Prusten, welches er mit aller Macht versuchte zu unterdrücken: „Neunhundertfünfzig Euro also“. Nun gut, ich solle doch das Geld mal vorbei bringen, wenn ich in der Gegend sei und er schaue, dass der Herr, das wieder erhalten würde. Vorbeibringen? Irgendwann? 950 Euro - irgendwann, wenn ich in der Gegend sei? Was? Er schaut, dass der halbtote Araber das Geld im Verliess kriegen wird? Und mein Finderlohn ist eine Stunde Waterboarding oder was? Er bedankte sich äusserst freundlich und legte auf. Ich brauchte einen Moment um mich zu sammeln, um zu realisieren. Wurde ich gerade eben ausgelacht, weil ich 950 Euro zurückgeben wollte? Echt jetzt? Ich habe da wirklich angerufen, weil ich dieses Geld zurückgeben wollte. Ob nun aus Ehrlichkeit oder aus purer Angst um mein Leben, kann ich nicht so genau sagen. Wohl ein Mix aus beidem. Tja, selbstverständlich habe ich nach diesem Anruf sämtliche Scheine behalten. Was weiss ich, bei wem dieser lächerliche Betrag am Ende gelandet wäre. Für die einen sind knapp 1000 Euro also ein Handgeld für einen kurzen Abstecher auf dem Viktualienmarkt, für mich war das damals fast ein ganzer Monatslohn.
Ich also alles aus dem Rucksack und das Teil noch an der Münchener Freiheit in einen Mülleimer, welcher laut meinen Nachforschungen natürlich auch nicht im Blickwinkel der Kameras lag und danach ab nach Hause, im Zickzack selbstsprechend. Am nächsten Tag habe ich mir einen Festplattenrekorder gekauft. 2004 war diese Technik ganz neu, der letzte Schrei. So konnte ich die Tatorte direkt auf eine Harddisk aufnehmen und musste nicht mehr mit VHS-Kassetten hantieren. Und mit dem Rest der Beute konnte ich meinen, eben angereisten, Besuch (Stalder!) auf ein sehr gutes Essen einladen und mit ihm das ganze Wochenende durchfeiern. Hier mal noch ein herzliches Dankeschön, an den saudischen Prinzen, oder was auch immer er war. Danke! War geil, wenn auch etwas zu aufregend für meinen labilen Verstand.

Zugegeben, mit einem Diplomatenstatus-Mörder im Lamborghini hat das herzlich wenig zu tun, aber seither weiss ich, dass nichts unmöglich ist, wenn es um München, Geld und reiche Araber geht. Oder wurde einer von euch schon mal ausgelacht, weil er 1600 Franken zurückgeben wollte? Also.

Erwartungs-Barometer: 5
Die Note danach: 5

Etwas gar dick aufgetragen, aber wie erwähnt: Nichts ist unmöglich im arabischen München. Und irgendwie bin ich ganz froh, dass ich das Geld nicht zurückgebracht habe, als ich mal in der Gegend war.

Die Prinzen Posse wird sicher schwer überzeichnet wirken, und ich befürchte, dass der Tatort eher in Richtung lustig, anstatt in Richtung Ernsthaftigkeit inszeniert wurde, aber es ist halt doch München. Und so erwartet uns zwar kein Meisterwerk, aber die hohe Qualität seit dem Ende der Sommerpause, wird nicht nur gehalten, München legt noch eine kleine Schippe drauf. Ihr werdet also hoffentlich tatort-zufrieden und ich ganz ohne Panik (10 Jahre nach dem Fund) ins Bettchen liegen können. Obwohl, den Zettel mit den arabischen Notizen habe ich noch immer. Und ich weiss bis heute nicht, was eigentlich darauf steht...

0 = Geld finden, zurückgeben wollen und dafür ausgelacht werden.
6 = Geld finden und es am Wochenende ohne schlechtes Gewissen (mit Stalder!) verballern können.

Falls dieser Barometer-Blog nicht euren Vorstellungen entspricht, könnt ihr ihn unter folgendem Link löschen:
Delete Blog

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ein Klischee nach dem anderen. Ein Wunder, dass die Teppiche nicht geflogen sind.

Feldinho hat gesagt…

Was für eine Geschichte - ich meine die selber erlebte... Grossartig!

Kommentar veröffentlichen