5. Juni 2016

Tatort: Wir-Ihr-Sie (Berlin)


Bei einigen habe ich es ja bereits angekündigt. Mir ist eine absolute Sensation geglückt. Nach fast 10 Jahren der Unwissenheit, nach fast 10 Jahren des mystischen Rätselns, nach fast 10 Jahren des Tüftelns, habe ich es nun endlich geschafft.
Ich habe das strenggeheime Gewürzrezept von Imren’s Schawarma-Fleisch geknackt. Ich habe es dechiffriert und mittlerweile vom Meister persönlich bestätigt bekommen. Unfassbar!
Und wisst ihr was? Weil ihr solch treue Leser meines Dauerstusses seid, werde ich euch die entscheidenden drei Zutaten nun verraten:

- Sternanis
- Nelken
- Zimt

So einfach klingt es, und doch ist es an Raffinesse nicht zu überbieten. Die Mixtur macht es aus!
Jeweils bereits beim ersten Bissen strömt dieses weihnachtliche, und doch irgendwie unbeschreibliche Glückgefühl dieser endgenialen Würze bis in die hinterletzte Ecke unseres Geschmackszentrums. Eine Explosion an festlicher Stimmung. Obwohl Imren selber kaum was mit Advent zu tun hat, beschenkt er uns Happen für Happen mit purer Lebensfreude, egal zu welcher Jahreszeit. Und jetzt, da ich die Zutaten kenne, verstehe ich auch, warum uns der Geschmack immer wieder als eine Art glühend-tragisches Liebesgedicht berühren kann.

Zweifelsohne hat diese endspektakuläre Enthüllung mit dem Tatort aus Berlin absolut nichts zu tun. Aber genau das ist das Problem. Der Tatort sollte damit zu tun haben. Er sollte unbedingt damit zu tun haben. Er sollte sich genau um solche Phänomene kümmern, er sollte uns genau auf dieser Ebene die Stadt erläutern.
Er sollte sich mit aller Kraft darum bemühen das Rezept von Imren zu knacken, er sollte rausfinden, warum in Berlin das ganze Jahr Weihnachten ist und doch irgendwie nie Weihnachten wird. Er sollte im Späti Harz4 Leute erfinden, die heiratswillige Türkinnen aufsuchen, er sollte in Nähcafés Stoffgitarren basteln, er sollte den Jamba Mitarbeitern Brötchen in die Tasche stecken, er sollte leere Club Mate Flaschen einsammeln und mit dem Pfandgeld die Stadt entdecken, er sollte magische Nachtbusfahrten und magnetische Nächte thematisieren, er sollte mit der BVG-Belegschaft Pause machen, er sollte vor der Kohlenquelle rote Brause posaunen, er sollte in der Volksbühne die Bestuhlung rausreissen, er sollte unbedingt Serdar und Woli porträtieren, er sollte im Kurvenstar die Türe aus den Angeln heben, er sollte in Cuvry-Palästen die Wände golden pinseln, er sollte mit Pablo Schimpanso von der Bühne kippen, nur um danach vom grössten aller Zauberer wieder zurück ins Leben gehext werden zu können, er sollte sich um ältere Kantinen und neuere Spreewaldarenen kümmern, er sollte verflucht nochmal einfach all die paradiesischen Geschichten von den Bäumen im Treptower Park pflücken, um sie danach direkt auf dem Sender vernaschen zu können!
Ich weiss, ich wiederhole mich immer und immer wieder. Aber warum nur kapiert das keiner?

Wie habe ich mich auf das neue Team aus Berlin gefreut. Wie habe ich gehofft, dass die energetisch geladene Luft dieser Stadt nun endlich auch für den Tatort genutzt werden wird. Stattdessen tappt man in die dümmste aller Tatort-Fallen und fokussiert auch hier auf die privaten Geschichten der Kommissare. So bleiben uns von Berlin also eine sexbesessene Kommissarin, die sich verhält wie eine 12jährige, und ein Kommissar, der unbedingt den Mafia-Tod seines früheren Partners aufklären will. Interessiert uns das? Wohl kaum. Die eigentlichen Stories jedoch bleiben total blass. Oder ist euch irgendwas von den Geschichten geblieben? Wohl kaum. Weiter kann man von Imren’s gülden-weihnächtlichem Gaumenergusses nicht entfernt sein.
Aber anstatt sich in der nun kommenden dritten Folge endlich mal auf ein richtig gutes Drehbuch zu konzentrieren, will man in diesem Tatort die Zuschauer mit einem Männerfick des schwulen Kommissaren schocken. So viel zum Thema vernaschen. Gäääääääääähhhhhhhhhnnnnnnnnnn. Wirklich krasser Schock im Jahre 2016. Bravo bravo, ganz toll erfunden! So was sieht man heute doch selbst auf der Jugendtheaterbühne des ICF Emmentals. Natürlich sollen Kommissare schwul sein, natürlich kann man das thematisieren, absolut, aber doch nur, wenn es die Geschichte vorantreibt. Wenn es zu einer guten Gesamtstory dazu gehört. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Szene im Berliner Tatort nur als billige Effekthascherei eingebaut wurde, weil man borniert mit Stock im Arsch vor dem Mcbook Pro sitzt und absolut keine Idee hat, was die Strassen eigentlich zu erzählen hätten. Diese Szene wurde eingebaut, damit die Presse nicht vermeldet, wie himmeltraurig die beschissenen Drehbücher aus der selbst ernannten Filmhauptstadt Europas noch immer sind. Oder wie wäre sonst zu erklären, dass die deutsche Bild Zeitung seit Tagen mit Bildern vom nackten Hauptkommissaren beliefert wird, während man über die Story eigentlich nichts zu lesen kriegt? Selbst nach der Premiere des Tatorts soll dieser Fick angeblich das einzige Thema gewesen sein. Spricht leider ganz und gar nicht für den eigentlichen Fall.

Erwartungs-Barometer: 3.5

Ich bin wirklich masslos enttäuscht vom neuen Berliner Team. Bei Ritter und Stark waren zwar die Drehbücher genau so lausig, aber zumindest gefielen die zwei Kommissare. Jetzt nerven auch noch die. Da wende ich mich doch lieber wieder den paradiesischen Geschichten und dem Gewürzrezept von Imren zu. Es duftet schon durch alle Zimmer. Das wird ein Traum-Grill-Sommer, ein verfluchter Festschmaus. Der Tatort leider nicht.

1 = Südostdeutsche Drehbuchautorinnen, die in Berlin leben
6 = Südosteuropäische Dürüm Magier, die in Berlin leben

Die Note danach: 4
Zweifelsohne gut gemacht, aber dieser ganze Komplott?!?! Äääh. Und diese "Mama ist so eine schlechte Mama"-Story?!?! Äääh. 

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