18. November 2012

Tatort: Dinge, die noch zu tun sind (Berlin)



Heute werde ich, zu eurem Leide, ein etwas ausführlicheres Barometer schreiben müssen. Denn schon wieder muss ich mein Konzept neu überdenken. Es geht um Grundsatzfragen. Immerzu strebe ich nach der absoluten Glaubwürdigkeit und nach Authentizität pur. Aber an dieser Messlatte scheitert der Tatort immer wieder kläglich. So auch Dortmund. Da ich nun aber von einigen Lesern (durchaus auch solche, denen ich einen sehr guten Filmgeschmack attestiere) gesagt gekriegt habe, wie gut sie „Mein Revier“ fanden, habe ich mir selbstverständlich meine Gedanken darüber gemacht, ja machen müssen. Wahrscheinlich sollte ich sonntags einfach DOK-Filme schauen, wenn mir die Glaubwürdigkeit dermassen wichtig ist. Denn hätte ich all die absurd-schlechten Nebengeschichten beim letzten Tatort ausblenden können, wäre der wirklich ganz gut gewesen. Vielleicht muss ich den Tatort einfach von einer etwas andern Seite bewerten. Vielleicht sollte ich meinen Blickwinkel ändern. Vielleich sollte ich dieser Glaubwürdigkeit, dieser absoluten Echtheit etwas weniger Gewicht einräumen bei meiner Vorbeurteilung bzw. eben oft Vorverurteilung. Vielleicht sollte ich diese Dinge einfach mal wieder komplett ausblenden, um mich trotz Ungereimtheiten richtig auf den Tatort einlassen zu können. Es scheint, als habe ich mich da etwas verrannt. Aber das Gute ist, dass sich dieses Barometer-Projekt in einem stetigen Prozess befindet. Nur weil ich fest gefahren bin, nur weil es in meinem Kopf immer nur schwarz und weiss gibt, heisst das noch lange nicht, dass das Barometer nicht total agil sein kann, sich nicht verändern kann. Im Gegenteil. Das Barometer geht mit der Zeit, reagiert auf jeweilige Situationen, auf die Wahrnehmung der Leser und erfindet sich somit immer wieder neu. Und so werde ich also versuchen, meinen Durst nach Echtheit mit irgendwelchen Reportagen zu stillen, um dafür der totalitären Glaubwürdigkeit bei meiner Bewertung wesentlich weniger Gewicht einzuräumen. 
Das klingt doch gut, wenn nur nicht ausgerechnet Berlin vor der Türe stehen würde. Denn die Erwartungen, die ich an die Nordstadt in Dortmund gehabt habe, sind ein klitzekleiner Furz, gegen die Erwartungen, die ich an eine Stadt wie Berlin und somit auch an den Tatort aus Berlin habe! Wenn ich sagte, dass in Dortmund ein grosses Potential verschenkt wurde, dann finde ich keinen passenden Vergleich, um auszudrücken, welch Potential die Berliner in ihrem Tatort verschleudern. Und da ist Glaubwürdigkeit und Echtheit noch das geringste Problem.
Vor drei Wochen habe ich im Münchener Barometer Berlin als Vergleich beigezogen:
„In Berlin z.B. werden mittlerweile sicher mehr Filme gedreht. Da passiert mehr. Der Berliner Film wächst rasant, in Berlin ist die Szene, in Berlin wird gepröbelt, in Berlin wird erfunden, in Berlin werden Fässer aufgemacht.“
Hab ich damals geschrieben. So ist es also in der Hauptstadt. Da sind die Leute, die Geschichte und Geschichten schreiben wollen, Schauspieler, die sich für die Kunst auf der Bühne das Herz raus reißen, Regisseure, die in der U-Bahn um Geld betteln, damit sie auch nur einen Bruchteil ihrer Ideen verwirklichen können. Die Stadt könnte jederzeit explodieren (oder implodieren?), vor lauter kreativer Energie. In jedem Bissen Imrem-Kebab schmeckt man die Unendlichkeit, an jeder Ecke riecht man die Welt, wenn einem mal wieder der energetisch geladene Ostwind um die Ohren pfeift. Jeder Straßenköter schafft es, aus Berlin ein Paradies zu machen, alle schaffen es Berlin auf irgendeine Art und Weise zu nutzen, zu ihrer eigenen Stadt zu machen! Nur der Berliner Tatort fühlt sich Mal für Mal wie grüne Grütze an. Wie Ratingen oder Schweinfurt. Ich glaube, es gibt keinen Tatort, der dermaßen an der Stadt vorbei zielt, wie der Berliner. Seit jeher versuche ich eine Erklärung dafür zu finden, aber es gelingt mir nicht. Es stecken sicher die falschen Leute dahinter. Leute, die Berlin nicht als das sehen, was es ist (oder wie ich es sehe). Wahrscheinlich sind es Leute, aus Süddeutschland, die von der ARD nach Berlin umgesiedelt wurden. Leute, denen Berlin zu gefährlich, zu dreckig, zu egal ist. Leute, die rausgeputzte Fussgängerzonen mögen und nun in Berlin einen Tatort produzieren sollen. Nur so ist diese unendliche Schande irgendwie erklärbar. Denn bei keinem Tatort klaffen Anspruch (meinerseits) und Realität so weit auseinander. Natürlich musste auch ich akzeptieren, dass in Berlin längstens nicht alles so läuft, wie es laufen sollte. Aber dass die Berliner es auch nach 20 Jahren nicht schaffen einen Flughafen zu bauen, das kann man rational erklären. Auch die sehr vielen anderen Dinge, die da schief laufen kann man auf irgendeine Art verstehen, aber dass sie es einfach nicht hinkriegen, einen Tatort zu produzieren, der zumindest ein bisschen von Berlins riesigem Herzen transportieren kann, das ist und bleibt mir ein ewiges Rätsel.
Nach so viel Text sollte eigentlich alles gesagt sein. Es geht um Synthetische Drogen in Nachtclubs und dunkle Geheimnisse. Natürlich klingt das zumindest nach einem Versuch Berlin zu nutzen, aber es klingt irgendwie auch wieder verdächtig danach, dass hinter diesem Drehbuch erneut ein Zwangsumgesiedelter aus dem idyllischen Schwarzwald steckt.
Was das alles nun mit der Glaubwürdigkeit in Dortmund zu tun hat? Woher soll ich das wissen? Das ist Berlin. Und wenn es um Berlin geht, bin ich weder objektiv, noch nüchtern, geschweige denn auf irgendeine Art zurechnungsfähig. Die totale Ambivalenz. Ich verzeihe Berlin immer und immer wieder. Denn jetzt, ja jetzt könnte doch alles besser werden (obwohl ich mich an keinen einzigen guten Tatort aus Berlin erinnern kann). Aber wie sagte ich vor einer Woche so schön: Ich bin mir sicher, dass „ein geniales Konzept für den Dortmunder Berliner Tatort fixfertig auf dem Silbertablett bereit liegen würde, und ich wünschte mir so so sehr, dass es einfach einer nehmen und verfilmen würde. Es wäre doch so simpel. Man müsste das Leben nur laufen lassen. Eine einfache, bewegende und packende Geschichte aus diesemr zwar tragischemn, aber eben auch äusserst spannendemn Viertel Stadt. Es braucht so wenig, um die Zuschauer mitzureissen. Einfach ehrlich und echt müsste es sein.“
Und so sehr ich weiss, wie ich enttäuscht sein werde, so sehr weiss ich, dass es jederzeit geschehen kann/könnte. Einfach so. In Berlin ist alles möglich!
 
Erwartungs-Barometer:
Eine 5 wünschte ich mir sehnlichst.
Bei einer 4 könnte die Wahrheit liegen.
Eine 3 würde mich auch nicht überraschen.
Die Note danach: 3,5

Auch wenn der eigentlich tragisch gemeinte Titel mit Berlin nichts zu tun hat, so könnte er für diese Stadt besser nicht passen.

0 = ungefähr so viel Erwartung wie von Max‘ Music Productions und seinem Telefon!
6 = ungefähr so viel Erwartung wie von Max‘ Palast und der Dieffenbachstrasse!

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1 Kommentar:

Schreibtischtäter hat gesagt…

Ach herrje. Wenn man uns doch nur ein halbwegs glaubhaftes Motiv präsentieren würde.

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