17. Mai 2015

Tatort: Kälter als der Tod (Frankfurt)


All die Stunden, die wir in diesen famosen Theatern verbracht haben. All die grossartigen Aufführungen, all die Gänsehaut, all die Glücksmomente, trotz Rückenschmerzen von den übel engen Holzsitzen. Und über all der Glückseligkeit schwebten drei göttliche Schauspieler. Drei Schauspieler, welche die Bretter Berlins mit einer solchen Genialität, mit einer solchen Wucht bespielten, dass ich die Volksbühne jeweils schweissgebadet und das Deutsche Theater mit weichen Knien verlassen habe. Drei Schauspieler, die mit solch einem Talent gesegnet sind, dass selbst die arbeitsverweigernden Tatort-Besetzer der ARD am Strand von Bora Bora irgendwann auf sie aufmerksam werden mussten. Auch wenn sie sich geschworen haben, absolut nichts für ihr hohes Gehalt zu tun. 
Drei Schauspieler, die nun allesamt beim Tatort gelandet sind.


Samuel Finzi spielt seit ein paar Folgen den Rechtsmediziner von Borowski in Kiel. Eine zurückhaltende Rolle, in welcher sein Talent wirklich nur sehr bescheiden zur Geltung kommen kann. Vielleicht aber ist er auch einfach ein Theaterschauspieler und nicht ganz so perfekt geeignet für das Fernsehen.



Milan Peschel wurde bereits für diverse Episodenhauptrollen besetzt und hat in der endgenialen Folge „Weil sie böse sind“ (Frankfurt) als alleinerziehender Familienvater eine Performance hingelegt, die bisher kaum je bei einem andern Tatort überboten wurde. Sein letzter Auftritt war als verkleideter Superheld in „Der Hammer“ (Münster). Dieser Tatort war zwar nicht grad der Hammer, aber Milan spielte selbstverständlich hammermässig.


Und nun, last but not least, wie man so dämlich sagt, folgt Wolfram Koch als neuer Hauptkommissar in Frankfurt. 
Welch geniale Sache...







...welch ein Erbe.
Momentan gibt es wohl keine schwierigere Aufgabe im Deutschen Fernsehen. Zu präsent ist die Geschichte mit dem Abgang von Nina Kunzendorf und Joachim Król. Zu bewusst ist dem Zuschauer noch, dass Frankfurt soeben, das wohl beste Ermittler-Duo aller Zeiten völlig dilettantisch zerstört und vertrieben hat.
Der Druck also ist immens. Die Erwartungen extrem. Und aufgrund meiner Theater-Erlebnisse sind meine Erwartungen noch wesentlich höher als extrem!
Eigentlich kann Frankfurt aus Barometersicht also nur verlieren. Und was machen sie? Sie werden gewinnen.

Neben Wolfram Koch wurde mit Margarita Broich auch die weibliche Hauptkommissarin mit einer hervorragenden Theaterschauspielerin besetzt. Lustigerweise ist sie im richtigen Leben die Partnerin von Martin Wuttke, der eben erst in Leipzig entlassen wurde. Tut hier aber natürlich nix zur Sache. Zudem engagierte der Hessische Rundfunk das Regie/Autor-Gespann von „Im Schmerz geboren“ (Wiesbaden), die einzige Folge mit der Note 6, seit ich das Barometer schreibe. Und auch sonst waren die zwei schon für einige sehr gute Folgen verantwortlich. Frankfurt versucht also alles, wirklich alles, damit wir Zuschauer ihnen den eigentlich unverzeihlichen Fehler verzeihen werden. Und auch wenn ich dem alten Team noch heute nachtrauere, so schätze ich diesen Aufwand, diesen Einsatz wirklich extrem. Frankfurt kämpft wie ein dem Tode geweihter Löwe, damit sie den sehr hohen Standard, welchen sie sich in den letzten Jahren hart erarbeitet haben, auch weiterhin halten können. Grosser Respekt vom Barometer.

Und es geht gleich weiter mit der Lobhudelei. Denn während man von einem Autor, welcher „Im Schmerz geboren“ geschrieben hat, ein weiteres knalliges Märchen-Feuerwerk erwarten dürfte, liefert er das pure Gegenteil. Er schreibt einen Krimi aus dem Leben. Eine simple, glaubwürdige Grundgeschichte. Und so sieht es für einmal nach völlig normalen Kommissaren aus. Welch unglaubliche Wohltat, nach all den Psycho-Wracks, nach all den mies gelaunten Ermittlern, nach all dem Depro-Dortmund. Ein neues Team ohne geistige Schäden, ohne Krankheiten, ohne Suizid-Absichten, keine tote Ehefrau, keine kranken Sexfantasien, keine übersinnlichen Kräfte, keine 12-Jährige bei der Polizei und weder alkohol-, noch drogenabhängig. Zwei 0815 Menschen, welche sich nun mal entschieden haben bei der Mordkommission zu arbeiten. So was soll es geben. Angeblich werden sie sogar gut gelaunt zur Arbeit kommen und vielleicht werden sie gar mal lächeln, trotz tragischem Mordfall. Mit Sicherheit jedoch werden sie sich nicht 75% der Sendezeit anschreien. „Jaaaaaaa“, schreie ich dafür! Welch angenehme Freude. Und ihr werdet sehen, normal kann durchaus spannend sein. Normale Menschen können durchaus 90 Minuten lang unterhalten. So ist das richtige Leben. Normal. Juheeeee!

Die eigentliche Geschichte dieser Folge klingt jedoch nicht ganz so normal und ist der einzige Punkt, bei welchem das Barometer heute leicht ins Zweifeln gerät. Aber er ist halt ein nicht ganz unwichtiger. Ein Familien-Drama mit Inzest, Missbrauch, Adoptivkindern, Rabenmüttern, Lesben-Liebe und ein verdächtiger Pösteler in den Häusern (hatten wir doch schon mal in Kiel. Ob das der gleiche ist? Der kam ja damals davon...). Zudem versetzen sich die Kommissare angelblich bildlich immer wieder in das Geschehene rein. Das ist ja auch sehr in Mode momentan und ein bisschen CSI-gaga oder so. Tja. Klingt schwierig, aber bei dem unglaublichen Aufwand, welcher Frankfurt für diese neue Reihe betreibt, könnte diese Folge trotzdem der Anfang einer grossen Barometerliebe werden.

Erwartungs-Barometer: 5

Mittlerweile kriegen wir ja alle zwei Wochen ein neues Team vor die Nase gesetzt. So richtig, richtig überzeugt hat aber irgendwie noch keines.
Dass Frankfurt weiss, wie man grosse Teams aufbaut, haben sie bewiesen. Jetzt müssen sie beweisen, dass sie wissen wie man eines aufbaut und danach auch halten kann. Vieles klingt sehr vielversprechend. Ich hoffe aber, dass die Story einigermaßen hält, und ich hoffe, dass Theatergenies auch im TV so grandios funktionieren.

0 = Macht und Rebell im Theater
6 = Finzi, Peschel und Koch im Theater

Die Note danach: Ø = 4.5
Die Kommissare versprechen sehr viel (5.5), die Story jedoch hätte abstruser nicht sein können (3.5)!

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