Tage wie diese sind es, die das Barometer am Leben
erhalten. Tage wie diese machen den ganzen Bullshit, den wir uns auch in diesem
Jahr wieder antun mussten, vergessen. Tage wie diese zeigen, was für ein Glück
wir alle doch haben, dass wir den Tatort überhaupt schauen dürfen. Tage wie
diese sind Freude pur!
Und dabei hab ich doch keine Ahnung, ob der neue Tatort
aus Wiesbaden genial oder hundsmiserabel werden wird. 
Jedoch alleine die Vorstellung, was uns erwarten könnte, macht
das Tatort-Barometer zum glücklichsten Barometer der Welt.
Rückblende:
Vor einem Jahr hat uns Wiesbaden mit der Theater-Groteske
„Im Schmerz geboren“ den besten Tatort seit Bestehen des Barometers geliefert.
Vielleicht gar den besten Tatort aller Zeiten. Was war das für ein Genuss, was
war das für ein Festmahl! Mamma mia!
Danach jedoch entbrannte eine heftige Diskussion, ob das
überhaupt ein Tatort war, oder ob man nun einfach alles, was am Sonntag läuft,
Tatort nennen darf. Kann man im Krimi-Genre auch ein groteskes Theater-Märchen
erzählen? Kann man nach einem Kriegsfilm sagen, dass der nun die beste Komödie
war, die es je gab? Absurd! So könnte man auch einfach ein Tatort-Signet vor „Big
Lebowski“ schneiden und behaupten, dass das nun der beste Tatort aller Zeiten
sei. Am Ende wurde gar gefragt, ob man nach dem Verspeisen eines Rindsfilets,
welches man fälschlicherweise am Maroni-Stand bekommen hat, sagen dürfte, dass
das nun die besten Maronis waren, die man je gegessen hat. Wahrlich eine
berechtigte Frage. Sind Maronis mit Rindsfilet direkt zu vergleichen? Wo liegen
die Grenzen für einen Krimi, für einen Tatort? Ganz schwierige Angelegenheit,
die wir nie wirklich klären konnten. Die Fronten sind bis heute viel zu
verhärtet. Fakt ist aber, und ich glaube da würde mir die ganze
Barometer-Leserschaft uneingeschränkt zustimmen, „Im Schmerz geboren“ war ein
unglaublich guter Film. Für deutsches TV mehr als nur ein Meisterwerk. Ganz
egal ob Tatort oder nicht. Und diese Meinung haben wir nicht exklusiv. Die
positiv-grandiosen Kritiken überschlugen sich, und selbst der grosse
deutsch-biedere Münster-Fan-Durschnitt fand den teilweise richtig gut. Das muss
man erst einmal schaffen.
Und was macht ein Tatort-Team normalerweise nach einem
solchen Grosserfolg? Richtig, es macht genau in diesem Stil weiter, versucht
den Erfolg mit Ähnlichem zu wiederholen. Wiesbaden jedoch tickt da völlig
anders. Sie verwerfen ihr über Jahre aufgebautes Murot-Konzept komplett und
wagen sich mit einer „Film im Film“-Komödie wieder aufs allerallerdünste Eis.
Die sind so geil! Wiesbaden riskiert in jedem einzelnen Tatort alles, wirklich
alles. Es ist jedes Mal solch ein schmaler Grat zwischen Mega-Flop und Vollerfolg.
Für das unglaubliche Glücksgefühl von „Im Schmerz geboren“ mussten wir erst drei
Murot-Tatorte über uns ergehen lassen, welche kaum auszuhalten waren. Aber es
brauchte sie. Dreimal alles riskiert, dreimal alles verloren. Aber anstatt
danach eine Folge auf Sicherheit zu drehen, setzen sie noch einen drauf,
spannen das noch dünnere Seil noch höher und verzichten auch gleich auf
jegliche Fangnetze. Beim vierten Mal also erneut alles riskiert und endlich alles
gewonnen! Was war „Im Schmerz geboren“ für ein Gaumentanz!
Jeder kennt doch die Situation, am Donnerstag in einem
Laden zu stehen, mit dem Plan am kommenden Sonntag dem Besuch eine famose
Guacamole auftischen zu wollen. So steht ihr also vor diesen Avocado-Schachteln
und drückt leicht zurückhaltend auf den Früchten rum. Nicht zu sehr, ist ja
irgendwie auch unhöflich, wenn man eine allzu weiche bereits im Laden völlig zermantscht.
Die Zeit drängt, gibt noch viel zu tun, aber die Entscheidung muss trotzdem wohl
überlegt sein. Welch Unentschlossenheit. Dieses Hin und Her. Wenn sie am
Sonntag noch zu hart sein wird, wird es keine Guacamole geben. Also muss sie jetzt
bereits ziemlich weich sein. Wenn ich aber eine zu reife nehme, kann es
durchaus sein, dass die am Sonntagabend braun sein wird. Schlimmstenfalls
könnte sie völlig hinüber sein. Von aussen sieht man das nicht immer. Oder sie
zieht gar schwarze Fäden. Pfui Teufel. Natürlich ist es ein elender Luxus, dass
wir hier in unserem Lande diese Wahl überhaupt haben. Aber da wir sie nun mal
haben, ist sie zu einem der größten Dilemmas im mitteleuropäischen Raum geworden.
Wir stehen also in diesem Laden und müssen alles
riskieren. Ein ganz schmaler Grat, ganz dünnes Eis. Wir wollen doch am Sonntag
die perfekte Guacamole servieren. Jetzt entscheidet sich alles. 
Wiesbaden stand seit der neuen Reihe mit Kommissar Murot
und seinem Hirntumor immer und immer wieder in diesem Laden. Erst seit ihrem
letzten Tatort weiss ich nun, dass Wiesbaden nichts anders wollte, als uns am
Sonntagabend die perfekte Guacamole zu servieren. Beim ersten Versuch ging es
komplett in die Hosen. Sie haben schlicht eine zu harte Frucht gekauft. Dann
geht bekanntlich gar nix. Folge 2 und 3 waren wirr, mit guten Ansätzen. Man hat
gelernt, dass die Avocado eben bereits am Donnerstag eine gewisse Reife haben
muss. Aber man riskierte zu viel. In beiden Folgen gab es schlicht zu viel braunes
Fleisch. Selbst wenn ein Teil der Avocado noch okay wäre, diesen faulen Geschmack
kriegt man nicht mehr weg. Das grosse Risiko sei lobenswert erwähnt, aber die
Guacamole schmeckte scheisse, keine Frage. In Wiesbaden aber liess man sich
nicht unterkriegen. Wieder in den Laden rein und wieder vor diesen Schachteln.
Jetzt aber mit dem Wissen der letzten drei Folgen. Und dieses Mal gelang der
Glückgriff. Wahnsinn, was die für eine Avocado aus dem Haufen gezogen haben.
Ich wusste nicht, dass man so was in Deutschland überhaupt kriegen kann. Ich
gehe aber davon aus, dass der Autor es bereits spürte, als er diese zarte
Frucht in seinen Händen hielt. Ich glaube das Drehbuch roch bereits nach der
perfekten Reife. Wie damals, als wir bei der Familie Hernandez auf Teneriffa
eine Avocado im Garten direkt vom Baum pflücken konnten. So was Geschmeidiges
habe ich seither nie mehr gegessen. Der Stein löste sich wie von Zauberhand, kaum
hatte man das edle Stück aufgeschnitten. Jedes Tröpfchen Olivenöl, jedes
Körnchen Salz, jedes Blättchen Koriander wäre eigentlich zu viel gewesen. An
Perfektheit nicht mehr zu überbieten, diese Avocado. Aaaaaach herrlich! Das
hauchfeine Fleisch duftete wie ein ganzes Haus voller Glück. Jeder Bissen
verging auf der Zunge, als wäre er aus purer Zartheit. Ein Avocado-Erlebnis in
reinster Vollkommenheit. So irgendwie muss es sich für das Team aus Wiesbaden
angefühlt haben, als sie „Im Schmerz geboren“ zum ersten Mal als fertige
Version im Schnittraum gesehen hatten. 
Die verdammt perfekteste Guacamole ihres Lebens. 
Und nun? Was macht man danach, jetzt, da man das Rezept
ja kennt? Einfach wiederholen? Denselben Gästen einfach wieder Guacamole
hinstellen? Wie gesagt, nicht in Wiesbaden. Wiesbaden will mehr. Nach einem
solch grandiosen Essen muss ein Dessert her. Ein ganz spezielles. Eine
fruchtige Gourmet-Explosion müsste es sein. Vielleicht mit einer süss-frischen
Ananas? Mmmmmm. Das wäre jetzt wirklich perfekt. Aber ihr kennt bestimmt alle
das Problem mit den Ananassen. Man steht wieder in diesem Laden, mit dem
Wissen, dass man am Sonntag unbedingt eine Nachspeise mit perfekt reifen Stückchen
servieren möchte, aber es ist so verdammt schwer bei einer Ananas zu erkennen,
in welchem Zustand das Fruchtfleisch am Sonntag sein wird. Aber scheiss drauf.
Wiesbaden riskiert es. Perfekte Ananas: Versuch, der Erste!
Zur eigentlichen Geschichte habe ich bis auf die „Film im
Film“-Aussage extra nichts erwähnt. Lasst euch überraschen! Ich gebe euch aber
das Barometer-Ehrenwort, dass sich das Einschalten extremst lohnen wird!
Erwartungs-Barometer:
6 oder 1 (So ist es halt, wenn man alles riskiert!)
Unter dem Strich ist klar, dass
Kommissar Murot eine solch perfekte Guacamole nie und nimmer mehr auftischen
könnte. Aber das will ja auch keiner in Wiesbaden. Da ja nun im Tatort jedes
Genre erlaubt zu sein scheint, gibt es in diesem Jahr die Nachspeise. Es könnte
der grösste Ananas-Traum eures Lebens werden. Auch wenn wir eigentlich Maroni
bestellt haben. Was soll’s.
1 = Faule Früchte
6 = Für ein gutes Essen alles riskieren
Die Note danach: 5 
(
80 Minuten lang fand ich den richtig klasse. Mindestens eine 5.5
(Wenn insbesondere mein Volksbühne-Liebling nicht "sich gespielt" hätte, sondern "sich gewesen" wäre, wäre das gar eine 80-minütige 6 geworden). Die letzten 10
Minuten jedoch waren für meinen Geschmack, völlig unnötigerweise, total
verkackt. Also da kann man schon gar nicht mehr von Risiko reden. Volles Rohr
verhauen, und das obwohl man eigentlich schon am Ziel gewesen wäre. Fast als
hätte man bereits im Laden bewusst eine faule Ananas gekauft. Kann eigentlich
nur bedeuten, dass das der letzte Tatort mit Murot war. Anders kann ich mir das
nicht erklären.
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1 Kommentar:
Tatort ist nicht gleich Tatort und Tatort heisst nicht gleich Krimi. Für mich verkommt diese Serie immer mehr zum Sandkasten in dem die Drehbuchautoren ihre Fantasie ausleben oder wahlweise ihre schrecklichen Kindheitserinnerungen verarbeiten dürfen.
Um was geht es in dieser Ausgabe überhaupt? Das Leben der Schauspieler, die dunklen Seiten der Menschen, wenn die Kameras ausgeschaltet sind oder um die Stellung des Krimis in unserer Gesellschaft?
Wobei die Bezeichnung Krimi haben viele Tatorte meiner Meinung nicht wirklich verdient. Für dieses Format sind sie oft zu lange und zu langfädig. Das lässt den Drehbuchautoren Raum zu teils grotesken Szenen und absurden Dialogen. Um als Spielfilm durchzugehen sind sie wiederum zu kurz.
Wenn ich einen Film sehen will, wo Wirklichkeit und Einbildung verwischen, dann entscheide ich mich für Vanilla Sky. Wenn ich in die gequälte Seele eines Kommissars blicken will, dann erwarte ich schon mehr als ein Mann der das Büromobiliar kurz und klein schlägt. Pausenlose Schiessereien und Prügeleien ergeben für mich noch keinen spannenden Thriller- oder Actionfilm. So ist auch Hamburg für mich weder Krimi noch Spielfilm.
Trotzdem schalte ich immer wieder ein, in der Hoffnung etwas zu sehen, was mich den Tatort als solchen geniessen lässt. Nur um danach zu überlegen ob es an mir oder dem Tatort liegt.
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